Demokratie-Report

Einleitung

Der BTI 2022 stellt erneut erhebliche Rückschritte in den Transformationsprozessen weltweit fest. Die Leitbilder von Demokratie und Marktwirtschaft stehen unter starkem Druck und werden durch korrupte Eliten, illiberalen Populismus und autoritäre Herrschaft herausgefordert. Erstmals führt der Transformationsindex mehr autoritär als demokratisch regierte Staaten auf. Noch nie sind in den letzten zwanzig Jahren sozioökonomisches Entwicklungsniveau und Wirtschaftsleistung im BTI so niedrig bewertet worden. Auch die Regierungsleistungen nehmen weiter ab, insbesondere in den konsensbezogenen Aspekten von Governance.

Dieser neue Tiefstand ist sowohl das Ergebnis der weltumspannenden Coronakrise wie auch einer Fortsetzung von seit Längerem andauernden globalen Trends. Aufgrund der hohen Zahl von Infizierten und Toten weltweit, der schwerwiegenden Belastung der Gesundheitssysteme und Staatshaushalte sowie der zusätzlichen Herausforderungen an gutes Regieren stellte die COVID-19-Pandemie einen extremen Stresstest dar und prägte die zweite Hälfte des Untersuchungszeitraums.

Alle Untersuchungsdimensionen des BTI auf Tiefstand | Durchschnittswerte von 128 Ländern, BTI 2012-2022

Fast alle Länder haben fundamentale demokratische Rechte als Reaktion auf die Pandemie eingeschränkt, fast alle Länder mussten ihre Governance im Sinne eines Krisenmanagements grundlegend anpassen. Wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß als zunächst befürchtet, lieferten Maßnahmen zur Eindämmung der Viruserkrankung – in Form von Versammlungsverboten, Informationskontrolle oder Notstandsermächtigungen – insbesondere Autokratien mitunter einen willkommenen Vorwand zur weiteren Beschneidung von Freiheitsrechten und für Machtballungen in der Exekutive. Die Ländergutachten des BTI zeigen zudem, dass bereits vorhandene Steuerungsdefizite auch zu einem mangelhaften Krisenmanagement im Rahmen der Pandemiebekämpfung führten.

Die pandemiebedingten Rückschläge verstärken insofern die Fehlentwicklungen und Problemlagen, die bereits das zurückliegende Jahrzehnt gekennzeichnet hatten. Die aktuellen Verschlechterungen auf dem Weg zur rechtsstaatlichen Demokratie (im globalen Durchschnitt -0,13 Punkte auf der BTI-Zehnerskala sind aufgrund ihrer hohen Aggregierung zwar nicht unerheblich, aber an sich nicht gravierend. Ihren alarmierenden Charakter erhalten sie als vorläufig letzter Knick einer kontinuierlichen Abwärtsentwicklung, die von stetig wachsender Polarisierung und Repression gekennzeichnet ist.

Die Demokratieverluste gehen weiter

Die Tragweite dieser kontinuierlichen Verschlechterungen wird durch die sukzessive Erosion von Demokratiequalität in zahlreichen Ländern verdeutlicht. Mit der Beschneidung politischer Freiheiten und der Aushöhlung rechtsstaatlicher Standards stellen sie nicht nur reale gesellschaftliche Rückschritte dar, sondern erschweren auch eine positiv korrigierende Entwicklung. Demokratisch gewählte Regierungschefs mit autoritären Tendenzen können sich durch gezielte Schwächung der Gewaltenteilung oder die Reduzierung politischer Betätigungsmöglichkeiten besser an der Macht halten, umgekehrt stehen Opposition, Minderheiten oder einer regimekritischen Zivilgesellschaft weniger Freiräume und institutionelle Absicherungen für eine Re-Demokratisierung zur Verfügung. Das Betreten dieser abschüssigen Ebene beginnt insofern oftmals mit der mangelnden Festigung von Rechtsstaatlichkeit. Die einmal so in Gang gesetzte Demokratieerosion hat sich häufig als schwer umkehrbar herausgestellt.

In den letzten zehn Jahren hatte nahezu jede fünfte Demokratie eine kontinuierlich absteigende Demokratiequalität zu verzeichnen. Dies betraf auch einige Länder, die noch im BTI 2012 als sich konsolidierende, gefestigte Demokratien betrachtet worden waren: Brasilien, Bulgarien, Indien, Serbien und Ungarn, und seit Mitte des letzten Jahrzehnts auch Polen. Diese sechs Länder büßten alle im Gesamtwert der politischen Transformation auf der BTI-Zehnerskala über einen Punkt ein und werden nunmehr als defekte Demokratien klassifiziert. Ihre Regierungen sind dem konservativen bis nationalistischen Parteienspektrum zuzuordnen und in unterschiedlichem Ausmaß rechtspopulistisch geprägt.

Der populistische Alleinvertretungsanspruch beinhaltet zwangsläufig eine Delegitimierung von Opposition, sodass im Herrschaftsnarrativ gezielt eine Abgrenzung von vormaligen Eliten, eine Diskriminierung von ethnischen oder kulturellen Minderheiten und eine absichtsvolle gesellschaftliche Polarisierung betrieben wird. Das ungarische Modell zeigt seit Anfang des letzten Jahrzehnts die autoritären, erklärt illiberalen Folgen dieser auf Stärkung der Exekutive angelegten, konfrontativen Politik auf. Zur ungehinderten Umsetzung des selbstdefinierten Volkswillens schwächt es systematisch unabhängige Kontrollinstanzen wie Justiz und andere Aufsichtsbehörden. Es behindert oppositionelle Meinung und Mitwirkung mittels Presserecht, der Kontrolle und Zentralisierung der Berichterstattung sowie der Einschränkung von Demonstrationsrecht, Organisationsfreiheit und Fairness von Wahlen. Verfassungsänderungen zur dauerhaften Festschreibung der Parteilinie schließen diese autoritäre Drift ab.

In Ostmittel- und Südosteuropa verzeichneten im aktuellen Untersuchungszeitraum vor allem Serbien und Bulgarien aufgrund einer erneuten Schwächung von Gewaltenteilung und mangelndem Schutz demokratischer Institutionen die stärksten politischen Transformationsverluste. In Serbien wurden 2020 von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleitete Parlaments-, Provinz- und Kommunalwahlen abgehalten, obwohl das Risiko einer COVID-19-Pandemie hoch war und die Wahlbeteiligung entsprechend niedrig ausfiel. Aufgrund des Wahlboykotts der wichtigsten Oppositionsparteien hat Serbien zum ersten Mal in seiner demokratischen Geschichte ein Parlament ohne echte Opposition. In Bulgarien schränkte die Regierung die Organisationsfreiheit, insbesondere hinsichtlich der mazedonischen Minderheit, ein, und die Gewaltenteilung wurde unter anderem durch eine politisierte Justiz untergraben, die keine konsequente Ahndung von Amtsmissbrauch betrieben hat. Ungarn mit weiteren Beschneidungen politischer Beteiligungsrechte und Polen mit einer weiteren Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit setzten ihre autoritäre Drift fort. Das ungarische Notstandsgesetz vom März 2020, das in Reaktion auf die Ausbreitung von COVID-19 ein Regieren ohne parlamentarische Zustimmung per Dekret erlaubte, war unter Demokratien das wahrscheinlich extremste Beispiel einer Ausnutzung der Pandemie zur weiteren Machtballung in der Exekutive.

Der aggressive Rechtspopulismus von Präsident Jair Bolsonaro in Brasilien setzt die politische Polarisierung der letzten Jahre fort und zielt darauf ab, die emanzipatorischen und sozialpolitischen Fortschritte im Sinne seiner Klientel von Evangelikalen, Sozialkonservativen und Wirtschaftslobbyisten rückgängig zu machen. Während die offen antidemokratischen Bestrebungen Bolsonaros aber von einer unabhängigen Justiz und einer starken Zivilgesellschaft eingehegt werden, kann Indiens Premierminister Narendra Modi seinen hindunationalistischen Kurs relativ ungehindert fortsetzen, mit der höchsten aktuellen Abwertung von -0,95 Punkten im Vergleich zum BTI 2020. Laut BTI-Ländergutachten steht die indische Demokratie auf der Kippe. Gestärkt durch die Wiederwahl Modis im Jahr 2019, die seiner Bharatiya Janata Party (BJP) die absolute Mehrheit der Sitze im Unterhaus des Parlaments einbrachte, wird die muslimische Minderheit zunehmend marginalisiert und diskriminiert, Widerspruch und Kritik unterbunden und die Pressefreiheit weiter eingeschränkt.

Der deutliche politische Abwärtstrend der letzten zehn Jahre von ehemals sich im Konsolidierungsprozess befindlichen Demokratien hat kein positives Pendant. Im letzten Jahrzehnt erreichte mit Bhutan (+2,25) nur ein einziges Land einen kontinuierlichen und deutlichen politischen Aufwärtstrend, das nunmehr nach seiner Demokratisierung auch einen friedlichen Wechsel der Regierungspartei verzeichnen konnte. Mit 7,05 Punkten erreicht es aktuell zwar denselben politischen Transformationsstand wie Brasilien, bleibt aber ebenso eine defekte Demokratie wie die anderen drei Länder, die innerhalb der letzten zehn Jahre einen dauerhaften Regimewechsel von Autokratie zu Demokratie vollzogen haben und infolgedessen zu den größten Aufsteigern zählen: Armenien (+1,50), Sri Lanka (+1,37) und Tunesien (+2,70). Diese drei Länder haben zudem in den letzten zwei Jahren wieder an demokratischer Substanz eingebüßt, Armenien auch aufgrund kriegsbedingter Einschränkungen der Pressefreiheit, Sri Lanka durch eine Stärkung der ethnonationalistischen Exekutive zulasten der Gewaltenteilung und Tunesien, nach Ablauf des Untersuchungszeitraums, im Sommer 2021 durch eine präsidiale Notverordnung, die das Parlament zumindest temporär entmachtete.

Keiner der dargestellten Ländertrends ist irreversibel, und Länder wie Ghana oder Rumänien zeigen, dass nach zwischenzeitigen Demokratieeinbrüchen erneute Konsolidierungsphasen folgen können. Bulgarien hat nach Ende des Untersuchungszeitraums eine neue Regierung gewählt, die die nach Massenprotesten isolierte und korrupte konservative Regierung ablöst und sich gesellschaftlichen Reformen und einer strikten Antikorruptionspolitik verschrieben hat. Auch gilt es zu betonen, dass es eine Gruppe von 14 Demokratien gibt, die in den letzten knapp 20 Jahren durchgängig als sich konsolidierend und stabil klassifiziert worden sind und ihr hohes Demokratieniveau unbeschadet aller Transformationsherausforderungen nahezu haben halten können: die afrikanischen Staaten Botswana und Mauritius, die asiatischen Länder Südkorea und Taiwan, die lateinamerikanischen Demokratien Chile, Costa Rica und Uruguay sowie der Karibikstaat Jamaika und schließlich die EU-Mitglieder Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien und Tschechien.

Dennoch ist der kurz- wie langfristige Trend schon allein hinsichtlich der fortgeschritteneren Demokratien negativ und verstärkt sich noch einmal deutlich, wenn zusätzlich auch die defekten Demokratien in den Blick genommen werden, von denen zahlreiche am Ende einer langen Abwärtsentwicklung in autoritärer Herrschaft mündeten. Von den 39 defekten Demokratien, die der BTI vor zehn Jahren aufführte, werden mehr als ein Drittel im BTI 2022 als stark defekte Demokratie oder als moderate Autokratie eingeordnet. Niger (-0,70 im Vergleich zum BTI 2012) steht stellvertretend für eine Reihe von afrikanischen Staaten, die ausgesprochen hohe Transformationsschwierigkeiten bewältigen müssen: extreme Armut, ein hohes Bevölkerungswachstum, einen sprunghaften Anstieg von Naturkatastrophen und Extremwettern sowie zunehmende ethno-religiöse Auseinandersetzungen. Auch wenn die politischen Beteiligungsrechte im Niger im letzten Jahrzehnt durch autoritäre Rückschritte stark beschnitten worden sind, ist es dem Land – anders als vielen Staaten in regionaler Nachbarschaft – gelungen, zumindest ein stark defektes demokratisches System aufrecht zu erhalten und nach Wahlen einen nahezu friedlichen Machtwechsel zu bewerkstelligen. Ebenfalls in die Kategorie der stark defekten Demokratien sind Bosnien-Herzegowina und der Libanon (je -0,80) sowie Mexiko und die Philippinen (je -1,00) abgestiegen. In Bosnien-Herzegowina und dem Libanon blockieren sich die politischen Eliten in der Verteilung um Pfründe und politischen Einfluss, in Mexiko und auf den Philippinen unterminiert die organisierte Drogenkriminalität sowie der überharte Kampf dagegen die Demokratiequalität, insbesondere hinsichtlich der Versammlungs- und Pressefreiheit sowie der durch Machtballung in der Exekutive beeinträchtigten Gewaltenteilung.

n.

Die Zahl der Autokratien wächst

Neun defekte und sechs stark defekte Demokratien haben im letzten Jahrzehnt so ausgeprägte regressive Tendenzen durchlaufen, dass sie nunmehr als moderate Autokratien eingeordnet werden müssen. Prototypisch für einen solchen Abstieg steht die Türkei, die im BTI 2020 erstmals als Autokratie klassifiziert wurde. Anfang des letzten Jahrzehnts noch als positives Beispiel für die Vereinbarkeit von Islamismus und Demokratie gepriesen und durch eine kontinuierliche Ausweitung von rechtsstaatlichen Standards, insbesondere der Gewaltenteilung, ausgezeichnet, reagierte die AKP-Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan ab 2013 empfindlich und mit steigender Repression auf zivilgesellschaftliche Kritik an einem zunehmend patriarchalen Führungsstil und der schleichenden Islamisierung des Landes. Der gescheiterte Putschversuch von 2016 legitimierte dann den Umbau in eine Präsidialrepublik, die die Gewaltenteilung aushebelte und zahlreiche politische Beteiligungsrechte stark beschnitt. In den letzten zwei Jahren wurden nach Aufhebung des Ausnahmezustands mehrere von dessen Verordnungen, die die Grundrechte einschränken und der Exekutive außerordentliche Befugnisse einräumen, in die geltende Rechtsprechung übernommen. Präsident Erdoğan betreibt mit einem populistischen Nationalismus die Polarisierung des Landes, die sich insbesondere gegen die kurdische Minderheit, aber auch gegen säkulare Reformkräfte richtet. Mit einem Minus von 2,85 Punkten hat die Türkei im Verlauf der letzten zehn Jahre den tiefsten Einbruch aller im BTI untersuchten Länder im Gesamtwert der politischen Transformation erfahren.

Die regionalen Schwerpunkte dieser langfristigen Autokratisierungstrends liegen im von Korruption und Drogenkriminalität belasteten Mittelamerika sowie im politisch labilen und von hohen Transformationshindernissen gezeichneten Subsahara-Afrika.

In Mittelamerika waren es die korrupten und statussichernden Eliten in Guatemala (-1,45 in den letzten zehn Jahren), Honduras (-1,98) und Nicaragua (-2,10), die die verbliebenen rechtsstaatlichen und partizipativen Fragmente weiter abbauten und dadurch die demokratische Rechenschaftslegung ausschalteten. In Kenia (-1,43), Burundi (-1,60), Uganda (-1,85) und Mosambik (-1,97) waren häufig von langjährigem Persönlichkeitskult oder Parteiendominanz geprägte politische Systeme anfällig für eine schleichende Unterminierung demokratischer Prozesse. Diesen politischen Rückschritten steht mit Ecuador nur eine vormals stark defekte Demokratie gegenüber, die sich unter Überwindung der linkspopulistischen autoritären Tendenzen unter Rafael Correa wieder stabilisiert hat, sowie Burkina Faso und Malaysia, die zumindest das Niveau einer stark defekten Demokratie erreicht haben, aber dennoch anfällig für Autokratisierung bleiben.

Im BTI 2022 sind sieben Länder neu als Autokratien klassifiziert, die alle in Subsahara-Afrika liegen: Côte d’Ivoire, Guinea, Madagaskar, Mali, Nigeria, Sambia und Tansania. Erstmals weist der BTI damit mehr Autokratien als Demokratien auf. 67 demokratische Regierungen stehen nunmehr 70 autokratischen Regimen gegenüber, eine deutliche Umkehr des Verhältnisses im Vergleich zum BTI 2020 (74:63).

Autokratische Mehrheit | Regimekategorien, BTI 2020 und 2022

Die sieben neuen Autokratien stehen stellvertretend für eine schleichende Aushöhlung des Respekts für demokratische Institutionen und Rechte in weiten Teilen des Kontinents. Zumeist laufen sie auf eine sukzessive Machtballung in der Exekutive hinaus, die zunächst den Rechtsstaat beschneidet und dann in Reaktion auf Proteste gegen Machtarroganz und Korruption schließlich auch auf die politischen Freiheitsrechte übergreift. Die Missachtung präsidentieller Amtszeitbeschränkungen hat ebenfalls deutlich zugenommen. Umstrittene und manipulierte Wahlen haben in Côte d’Ivoire, Guinea, Mali, Nigeria und Tansania die autoritäre Regression vorangetrieben. Die Erosion demokratischer Institutionen über eine sukzessive Aushöhlung der Gewaltenteilung war insbesondere in Madagaskar, Sambia und ebenfalls in Tansania zu beobachten.

Auch hier ist zu betonen, dass der skizzierte Negativtrend umkehrbar ist. So hat nach Ende des Untersuchungszeitraums die Opposition die Präsidentschaftswahlen in Honduras und Sambia gewonnen und die möglicherweise reformorientiertere vormalige Vizepräsidentin in Tansania das Präsidentenamt übernommen, so dass der Autokratisierungskurs in diesen drei Ländern umgekehrt werden könnte.

Effizienz versus Demokratie

Dennoch ist festzuhalten, dass in den letzten zehn Jahren nicht nur die Anzahl der Demokratien deutlich gefallen ist, sondern auch deren Stabilität und Qualität zurückgegangen ist. Dies hängt auch mit sich in letzter Zeit häufenden Versuchen zusammen, effizientes Regieren und demokratische Prozesse gegeneinander auszuspielen. In unterschiedlicher Ausprägung und Intensität wurden in einigen defekten und stark defekten Demokratien politische Freiheiten und rechtsstaatliche Errungenschaften bereitwillig zugunsten eines eher bürokratisch-paternalistischen Autoritarismus aufgegeben. In diesen Ländern positionieren sich Regierungschefs ohne eine offensichtliche ideologische Agenda und mit teils starker Unterstützung der Bevölkerung offensiv gegen die bestehenden demokratischen Institutionen und Prozesse, die sie als ineffizient, korrupt oder blockierend bezeichnen.

Im Untersuchungszeitraum ist dies am ausgeprägtesten in Benin (-0,85 im Vergleich zum BTI 2020) zu beobachten gewesen. Eine von Präsident Patrice Talon 2018 initiierte Reform des Wahlgesetzes sollte einerseits die entscheidungslähmende Fragmentierung des Parteiensystems beseitigen. Das neue Gesetz begünstigte aber andererseits letztlich die Regierungspartei massiv, da es die Wahlzulassung erschwerte und eine hohe Hürde von zehn Prozent an Wahlstimmen für den Einzug ins Parlament festlegte. Oppositionsparteien boykottierten daraufhin die Parlamentswahlen von 2019 und Talon konnte sich nunmehr auf ein regierungstreues Parlament stützen. Aussichtsreiche Oppositionskandidaten wurden von den Präsidentschaftswahlen im April 2021 ausgeschlossen oder verließen das Land. Bei niedriger Wahlbeteiligung gewann Talon seine zweite Amtszeit mit 86% der Stimmen, obwohl er ursprünglich angekündigt hatte, nur für eine Amtszeit zu regieren.

In El Salvador (-0,50) wurde Präsident Nayib Bukele 2019 als Alternative zur festgefahrenen Polarisierung zwischen den linken und rechten Parteien, die das Land seit Ende des Bürgerkriegs regierten, gewählt. Sein Regierungsstil ist durch Impulsivität und die Geringschätzung verfassungsmäßiger Verfahren geprägt, die sich im Februar 2020 in der Besetzung des Parlaments durch das Militär ausdrückte, nachdem die Abgeordneten seiner Regierung die Aufnahme eines Kredits zur besseren Ausrüstung von Polizei und Militär im Kampf gegen bewaffnete Banden verweigert hatten. Die Bevölkerung, frustriert über die etablierten Parteien, denen eine Reduzierung der ausgeprägten sozialen Ungleichheit und der hohen Kriminalitätsraten nicht gelungen war, honorierte hingegen bei Parlamentswahlen im Februar 2021 den populistisch-autoritären Kurs mit einer Zweidrittelmehrheit für seine Partei. Dies gestattete Bukele im Mai 2021 unter anderem die Neubesetzung der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs und der Position des Generalstaatsanwalts.

Auf den Philippinen (-0,35) präsentiert sich der seit Mitte 2016 im Amt befindliche Präsident Rodrigo Duterte als entschlossener Gegner von Korruption und Drogenkriminalität und genießt weiterhin hohe Zustimmungsraten in der Bevölkerung und eine deutliche Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Daran hat weder seine Militarisierung der Politik, die Einschüchterung von Oppositionellen und Regierungskritikern, die außergerichtliche Ermordung von Drogendealern und seine Geringschätzung und Verletzung politischer Freiheiten und Menschenrechte noch seine Kooperation mit einflussreichen Familienclans etwas geändert. Die Regierung ging bei der Pandemiebekämpfung ausgesprochen repressiv vor und verhaftete Zehntausende wegen Verstößen gegen Quarantänebestimmungen. Darüber hinaus wurde ein neues Antiterrorismus-Gesetz erlassen, das der Regierung weitreichende Befugnisse zur Unterbindung von Kritik, zur Einschränkung grundlegender Bürgerrechte und zur Verhaftung wegen Terrorismusverdachts einräumte.

In Tunesien schließlich setzte Präsident Kais Saied nach Ende des BTI-Untersuchungszeitraums im Juli 2021 mit einem umstrittenen Rückgriff auf die nationale Notstandverordnung die Regierung ab und beurlaubte das Parlament. Auch wenn er damit in den innenpolitischen Auseinandersetzungen eindeutig Partei gegen die islamistische Ennahda als stärkster Fraktion ergriff, konnte er diese Maßnahmen als überparteilichen Schritt zur Überwindung einer institutionellen Blockade darstellen, da sich die Fraktionen seit Jahren nicht über die Besetzung des Verfassungsgerichts sowie ein effektives Vorgehen zur Korruptionsbekämpfung hatten einigen können. Die verbreitete Enttäuschung über die jahrelange Verkrustung des politischen Systems war ein wesentlicher Grund für die positive Resonanz, auf die die eigenmächtige Machterweiterung des Präsidenten in großen Teilen der tunesischen Bevölkerung stieß.

All diese Beispiele illustrieren, dass es nach Jahren oder Jahrzehnten der Klüngelei und Misswirtschaft in vielen Ländern ein ungeduldiges Bedürfnis nach gutem Regieren gibt – und in einigen Fällen nachgeordnet scheint, ob dies unter demokratischer Governance oder unter Schwächung von Gewaltenteilung und Grundrechten geschieht. Zu dieser Schlussfolgerung passt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in demokratische Institutionen und Prozesse in den 57 Ländern, die sowohl im BTI 2012 wie auch im BTI 2022 als Demokratien klassifiziert sind, während der letzten zehn Jahre durchschnittlich um etwa einen halben Punkt gesunken ist. Umgekehrt und noch etwas stärker sank im selben Zeitraum in diesen 57 Ländern auch die Akzeptanz von und das Bekenntnis zu demokratischen Institutionen unter den politischen Entscheidungsträgern (-0,65). Mit der politischen Rhetorik, den gordischen Knoten von institutionellen Blockaden und elitärer Reformfeindlichkeit so durchschlagen zu können, statt ihn demokratisch zu lösen, befinden sich zahlreiche demokratisch legitimierte Regierungschefs in bedenklicher Nähe zum autoritären Herrschaftsnarrativ, das die Vorzüge von staatsdirigistischem, effektivem Handeln im Vergleich zu entscheidungsschwachen und uneinigen Demokratien betont.

Mehr Repression und zivilgesellschaftlicher Widerstand

Zahlreiche Autokratien haben im Untersuchungszeitraum die Pandemie genutzt, um unter eben diesem Vorwand des straffen Krisenmanagements die Bürgerrechte weiter einzuschränken und Systemkritik zu unterbinden. Diese manipulative Instrumentalisierung fand sowohl in moderaten Autokratien wie Algerien, Singapur und der Türkei wie auch unter harten Autokratien wie Kambodscha, Oman und Venezuela statt, beispielsweise durch die Unterbindung von Demonstrationen und kritischen Meinungsäußerungen. In gefestigten und technologisch fortgeschrittenen Autokratien wie China erlaubte die erhöhte Daten- und Bewegungserfassung zudem einen Ausbau der digitalen Bürgerkontrolle.

Insgesamt aber hatten die meisten undemokratisch regierten Länder den einschneidenden Autokratisierungsschub bereits vor dem BTI 2022 hinter sich, da schon Mitte des letzten Jahrzehnts viele autoritäre Regime Repressionen verschärften und Rechte kappten, unter anderem in Reaktion auf den Arabischen Frühling oder den Euromaidan. In den 50 Ländern, die sowohl im BTI 2012 wie auch im BTI 2022 als Autokratien klassifiziert waren, sind in den letzten zehn Jahren sowohl Versammlungs- und Organisationsfreiheit (je -0,64) wie auch der Schutz der Bürgerrechte (-0,50) besonders stark beschnitten worden, und auch die engen zivilgesellschaftlichen Betätigungsräume wurden sukzessive weiter eingeschränkt.

Im Untersuchungszeitraum sind die bedeutsamsten politischen Rückschritte in Autokratien bei jenen Regimen zu finden, die umfassenden Massenprotesten mit den härtesten Repressionen begegnet sind. In Belarus reagierte Präsident Alexander Lukaschenko mit beispielloser Gewalt auf die Protest-bewegung, die sich in Reaktion auf die gefälschten Präsidentschaftswahlen vom August 2020 entwickelt hatte. Hunderte von Menschen wurden verletzt, mehrere Demonstranten wurden getötet und Folter von politischen Gefangenen wurde systematisch angewendet. In Nicaragua hatte Präsident Daniel Ortega die Massendemonstrationen vom April 2018 auf brutale Weise niedergeschlagen und setzt seitdem seinen sehr repressiven Kurs gegen Proteste fort. Die Regierung hat ihr Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft und die freie Presse verschärft, indem sie die gesetzliche Registrierung von NGOs widerrufen, Medien geschlossen, Journalisten verhaftet und die Mandate mehrerer internationaler Menschenrechtsorganisationen beendet hat. Beide Regime folgen dem syrischen und venezolanischen Beispiel, überwältigende Massenproteste auszusitzen, zu diskreditieren und bei passender Gelegenheit brutal zu unterdrücken. In Haiti, einem der neun „failing states“ im BTI 2022, schränkte Präsident Jovenel Moïse die Bürgerrechte ein, regierte ohne gewähltes Parlament und unter weitgehender Ausschaltung der Justiz per Dekret und unterstützte Bandenführer, die Teile der Hauptstadt und Zonen in anderen Landesteilen kontrollieren. Nach Ende des BTI-Untersuchungszeitraums wurde Moïse im Juli 2021 ermordet.

Auch wenn das Minus der politischen Transformation in den letzten zwei Jahren nicht so ausgeprägt gewesen ist, so ist in vielen autoritär regierten Ländern der Protest gegen Gängelung, Korruption und Missmanagement noch einmal schwieriger geworden. Die zunehmende Beschneidung der noch verbliebenen Beteiligungsmöglichkeiten, die weitere Einengung zivilgesellschaftlicher Räume sowie die harte Repression jeglicher Systemkritik hat in einem Ausmaß zugenommen, dass mittlerweile jedes dritte Land im BTI als harte Autokratie klassifiziert werden muss.

Vor diesem Hintergrund ist positiv hervorzuheben, dass sich sowohl die Organisationsfähigkeit, Repräsentativität und Kooperationsbereitschaft von Interessengruppen wie auch das Ausmaß von Vertrauen und Selbstorganisationsfähigkeit der Zivilgesellschaft im Sinne von Sozialkapital in den letzten Jahren dem allgemeinen negativen politischen Trend entzogen haben. Dies betrifft Demokratien und Autokratien gleichermaßen. Zivilgesellschaften stellen häufig die letzte und härteste Bastion dar, um sich, unter teils hohen Opfern, gegen Autokratisierung zu stemmen, wie dies in Belarus, Myanmar und im Sudan zu beobachten war. Sie fordern mit Vehemenz überfällige gesellschaftliche Reformen ein, sei es für größere soziale Inklusion und Repräsentativität in Chile oder die konsequente Einhaltung des Friedensabkommens in Kolumbien. Sie sind erfolgreich in der Anprangerung von Korruption und Amtsmissbrauch und haben beispielsweise in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Tschechien politischen Wandel einläuten können. In Pandemiezeiten füllten sie häufig die Lücken mangelnder staatlicher Fürsorge im Gesundheitssektor oder zur Versorgung von sozial benachteiligten Gruppen, wie in Polen, Tschechien oder der Ukraine.

Diese Aktivitäten verstärken sich bezeichnenderweise häufig zu einem Zeitpunkt, an dem die jeweilige Regierung die zivilgesellschaftliche Beteiligung an Entscheidungsprozessen reduziert oder aktiv behindert. Im Sudan war das Sit-in von April bis Juni 2019 ein historischer Moment, in dem Solidarität und Vertrauen unter den Bürgern deutlich wurde. Vor der gewaltsamen Auflösung teilten die Demonstranten nicht nur das Ziel, die Revolution zum Erfolg zu führen, sondern auch Lebensmittel, Unterkünfte und medizinische Versorgung. In Belarus fanden zivilgesellschaftliche Kräfte immer neue, innovative Wege der Vernetzung und Internetnutzung, um sich gegen Wahlbetrug und für friedlichen Protest zu organisieren. Sie richteten zudem Onlineplattformen für soziale Dienste, Krankenhausspenden und Beratung ein, um der staatlichen Missachtung der Folgen von COVID-19 zivilgesellschaftliche Solidarität entgegenzusetzen. Im Libanon zeigte die soziale Protestbewegung 2019 und 2020 ein hohes Maß an Zusammenhalt über konfessionelle Grenzen hinweg, in bemerkenswertem Kontrast zur konfessionsgebundenen Patronage und Korruption der politischen Elite. Die Demonstranten gedachten in verschiedenen Formen der Opfer der Gewalt des Regimes und bildeten im Oktober 2019 eine Kette Zehntausender von Menschen, die das Land von Norden nach Süden durchquerte, um Solidarität und nationale Einheit zu demonstrieren.

Politische Entmündigung, Korruption und soziale Exklusion befeuern Proteste weltweit. So registrierte der Global Protest Tracker zwischen Januar 2019 und Januar 2021 insgesamt 126 markante Proteste in 72 der 137 vom BTI untersuchten Länder. Die hohe Anzahl an Protesten belegt einerseits eine ungebrochene zivilgesellschaftliche Mobilisierungsfähigkeit, auch in repressiven Kontexten, ist andererseits aber auch Ausdruck fehlender Responsivität von Regierungen sowie mangelnder institutioneller Vermittlungskanäle und schwacher Repräsentationsstrukturen.

Polarisierung und steigende Konfliktintensität

Sozioökonomischen Verwerfungen, die durch die Pandemie erhöht worden sind, haben in den letzten Jahren in mehrfacher Hinsicht zur Schwächung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beigetragen. Zum einen sind wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und soziale Ausgrenzung in der Mehrzahl der vom BTI untersuchten Länder dauerhaft prägend, ohne dass sich abzeichnen würde, dass die politischen und wirtschaftlichen Eliten glaubhaft um eine tiefgreifende Änderung des Status quo bemüht sind. Zum zweiten war trotz rapide steigender Ungleichheit im letzten Jahrzehnt zumindest in zahlreichen Ländern eine deutliche Senkung der Armutsrate gelungen. Diese Erfolge der Armutsbekämpfung drohen nun in direkter Folge der Pandemieauswirkungen zunichte gemacht zu werden. Zum dritten beinhaltet diese negative ökonomische Dynamik, dass erheblichen Bevölkerungsanteilen ein erneuter sozialer Abstieg droht, sei es durch Relegation in den informellen Sektor, durch Abstieg aus einer ohnehin prekären unteren Mittelschicht oder durch Rückfall in absolute Armut.

Eine dauerhafte soziale Marginalisierung schwächt die Zuversicht in gesamtgesellschaftliche Entwicklungsperspektiven und in den Reformwillen der politisch Verantwortlichen sowie die staatliche Kompetenz. Sie beinhaltet auch die ökonomische Notwendigkeit, sich alternativen Versorgungsinfrastrukturen in Familie oder identitätsbasierter Bezugsgruppe zuzuwenden. Dabei wird nicht unbedingt die Legitimität des Staates insgesamt, wohl aber seine Fürsorge- und Reformkapazität hinterfragt. Im Ergebnis trägt sozioökonomische Ausgrenzung so zu einer stärkeren Hinwendung zu partikularen, nichtstaatlichen Organisationsformen und ethnischen, religiösen oder clanbezogenen Identitäten bei. Dies kann bis hin zu politischer Destabilisierung führen, wie es beispielsweise in den scheiternden Staaten Libyen und Jemen sowie im fragilen Nigeria besonders ausgeprägt der Fall war.

Andererseits wurde die Forcierung von dominanten identitären Partikularinteressen zunehmend auch zur Herrschaftslegitimierung genutzt, wobei insbesondere religiös grundierte Polarisierungsmuster eine Rolle spielen. In Myanmar unterstützten ultranationalistische Buddhisten nach Ende des Untersuchungszeitraums den Putsch der Militärs. Vor allem die Regime in Ungarn, Indien und der Türkei haben Identitätspolitik polarisierend instrumentalisiert. Der rechtspopulistische Kurs des ungarischen Premierministers Viktor Orbán leitet seine nationalkonservative, Minderheiten ausgrenzende Richtung explizit auch aus der christlichen Kultur des Landes ab. Der Hindunationalismus von Premierminister Narendra Modi untergräbt das pluralistische und säkulare Fundament des Vielvölkerstaates und verschärft mit ethnozentrischen Maßnahmen wie dem neuen Staatsbürger- und Zuwanderungsrecht oder der Streichung der Autonomierechte für Kaschmir die Konflikte mit der muslimischen Minderheit. Der autoritäre Islamismus von Präsident Recep Tayyip Erdoğan richtet sich gegen die als Staatsfeinde erklärten Anhänger der Gülen-Bewegung sowie die kurdische Minderheit. Insgesamt ist im vergangenen Jahrzehnt der Einfluss religiöser Dogmen auf Rechtsordnung und politische Institutionen nur in elf Ländern gesunken, aber in 54 Ländern gestiegen.

Mit zunehmend identitätsbasierten, polarisierenden und ausgrenzenden Trends ist die Konfliktintensität in zahlreichen Ländern deutlich angestiegen. Dies gilt weniger auf der Ebene der umfassenden militanten Auseinandersetzungen wie Krieg oder Bürgerkrieg. Hier stieg die Anzahl der seit dem BTI 2012 kontinuierlich untersuchten 128 Länder von 12 auf 16 betroffene Länder. In der aktuellen Untersuchung traf dies insbesondere auf Äthiopien zu, wo sich zunehmende ethnopolitische Spannungen zu einem offenen und verlustreichen Bürgerkrieg auswuchsen.

Ein wesentlich größerer Anteil der insgesamt steigenden weltweiten Konfliktintensität hingegen leitet sich daraus ab, dass in immer mehr Ländern gewaltsame Handlungen Teil der politischen Auseinandersetzung geworden sind. Diese Ländergruppe ist im letzten Jahrzehnt und bis heute von 71 auf 82 Länder gewachsen. Zum einen haben sich die Gräben zwischen gesellschaftlichen Gruppen entlang ethnischer, religiöser oder sonstiger sozialer Trennlinien vertieft, zum anderen nimmt die Zahl von diskreditierten Diktatoren zu, die trotz Massendemonstrationen den staatlichen Sicherheitsapparat zur brutalen Unterdrückung und zum Machterhalt um jeden Preis einsetzen, wie dies im Untersuchungszeitraum und darüber hinaus in Belarus der Fall ist.

Fazit

Der BTI 2022 notiert einen neuen Tiefstand an politischer Transformation. Schlechte Regierungsführung verschärft diese Entwicklung. In den meisten Ländern ist Partizipation und Rechtsstaatlichkeit nicht hinreichend gewährleistet, um eine freie und selbstbestimmte Mitbestimmung an politischen Entscheidungsprozessen zu erlauben.

Andererseits aber geben die Ergebnisse des BTI 2022 auch Anlass zu Hoffnung. Erstens gibt es, und dies schon seit längerer Zeit, eine Gruppe von stabilen und krisenresilienten Demokratien, die erfolgreiche Transformationspfade aufzeigen. Einige dieser Demokratien wie die baltischen Staaten oder Taiwan sind von autoritären Mächten wie Russland und China bedroht. Aufgabe einer wertebasierten Außenpolitik sollte sein, sie nach Kräften zu unterstützen, um dieser Bedrohung in demokratischer Solidarität zu begegnen.

Zweitens haben sich einige autoritäre Rückschritte offenbar nur als temporär erwiesen. Die Wahlerfolge der Oppositionskandidaten Xiomara Castro in Honduras und Hakainde Hichilema in Sambia nach Ende des BTI-Untersuchungszeitraums eröffnen eine Perspektive der Re-Demokratisierung, ebenso wie die Amtsübernahme der neuen Präsidentin Samia Suluhu Hassan in Tansania. Auch die Entwicklungen in Ostmittel- und Südosteuropa stimmen positiv, da nach Nordmazedonien, Rumänien und der Slowakei auch Bulgarien und Tschechien den rechtsgerichteten und autoritären Trend durch liberalere Regierungen stoppen konnten. Gerade Entwicklungsländer mit einer Demokratisierungsperspektive benötigen internationale Unterstützung, die eine wertebasierte Außenpolitik leisten sollte. Umgekehrt sollten Aushebelungen demokratischer Prozesse, wie aktuell in Tunesien, mit Entschlossenheit verurteilt werden. Effizientes Regieren darf nicht gegen demokratische Prozesse ausgespielt werden. Alle Ergebnisse des BTI belegen eindrücklich, dass Demokratien mit großem Abstand auch die effizienteren Regierungen stellen.

Drittens schließlich sind die zivilgesellschaftlichen Kräfte, die auch in höchst repressiven Kontexten wie in Belarus, Myanmar und Sudan auf friedlichen und demokratischen Wandel drängen, beeindruckend in ihrer Ausdauer und Kreativität. Sie bringen einen immens hohen Einsatz an Mut und Entschlossenheit auf, der engagierter Fürsprache und Unterstützung bedarf. Eine wertebasierte Außenpolitik ist aufgerufen, nicht nur die Repression des herrschenden Regimes eindeutig zu verurteilen, sondern zivilgesellschaftliche Kräfte zu unterstützen und ihnen im Falle des Scheiterns eine sichere Zuflucht zu gewähren.

Insofern sind die Ergebnisse des BTI 2022 ohne Frage ernüchternd. Die Reaktion darauf sollte aber nicht Lähmung, sondern noch mehr außen- und entwicklungspolitisches Engagement sein. Es gibt positive Zeichen.