Wachsende Grauzonen

Die Rückkehr von Kenia und Sambia in den Kreis der Demokratien sendet ein positives Signal in die Region. Allerdings liegen beide Länder noch immer deutlich unter dem politischen Transformationsstand, den sie vor zehn Jahren erreicht hatten. Dies gilt, mit Ausnahme Malawis, auch für die anderen regionalen Demokratien, die teils deutliche Regressionen aufweisen. Die Grauzone ungefestigter Demokratien wächst. Die Regierungsqualität ist in den meisten Ländern mäßig bis schwach und trifft auf ungelöste wirtschaftliche Probleme und hohe strukturelle Hürden. 

Drei Tendenzen bestimmen das politische Transformationsgeschehen im Südlichen und Östlichen Afrika: Zum einen werden Demokratien, in denen es seit deren Unabhängigkeit keinen Machtwechsel gegeben hat, anfälliger für Korruption und innerparteiliche Patronagebeziehungen. Dies wirkt sich wiederum negativ auf die Demokratiezufriedenheit in der Bevölkerung aus und gilt für Botswana, Namibia und besonders für Südafrika. Zum zweiten bewiesen die Aufsteiger Kenia (+0,93 Punkte) und Sambia (+1,60) eine beachtliche, maßgeblich zivilgesellschaftlich verankerte demokratische Resilienz. Eine kohärente und programmatisch klare Opposition bestritt einen erfolgreichen Wahlkampf, der in einer Rückkehr zu demokratischem Regieren mündete – wenngleich die Situation fragil bleibt. Zum dritten zeigen sich in den meisten Autokratien Tendenzen der repressiven Verhärtung. Einzig Tansania weist einen gegenläufigen Liberalisierungstrend auf. Durchschnittlich verschlechtern sich in der Gruppe der 14 Autokratien vor allem die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (-0,37) und noch mehr die Unabhängigkeit der Justiz (-0,61). Simbabwe wird von einer moderaten Autokratie zu einer harten Autokratie heruntergestuft.

Das Niveau der sozio-ökonomischen Entwicklung sinkt im Berichtszeitraum um 0,14 Punkte gegenüber dem BTI 2022. Zwar sind die Auswirkungen externer Schocks weniger drastisch ausgefallen als erwartet, haben jedoch dennoch zu einer schwierigen Gesamtsituation vor allem in Bezug auf die Armutsbekämpfung beigetragen. Viele Regierungen setzen sich vage, wenig operationalisierte Ziele und scheitern häufig an deren Umsetzung. Strukturelle Probleme und Konflikte erschweren das Regieren zusätzlich. Der Bürgerkrieg in Äthiopien kam durch einen Waffenstillstand Ende 2022 zunächst zur Ruhe, jedoch sind die Bedingungen für einen dauerhaften Frieden aufgrund der regionalen Instabilität am Horn von Afrika schwierig. Eine Zunahme des Konfliktgeschehens lässt sich im benachbarten Somalia verzeichnen, auch der Südsudan bleibt fragil. 

Politische Transformation

Opposition mit neuer Strategie

Wie wichtig Wahlen und Wählermobilisierungsstrategien für die Demokratieentwicklung sind, untermauern die Beispiele Kenias und Sambias. In Sambia bildete die seit 2019 wachsende Unzufriedenheit die Grundlage für den Wahlsieg von Hakainde Hichilema und der United Party of National Development (UPND) über seinen Vorgänger Edgar Lungu und dessen Patriotic Front. Dabei spielte erstens die traditionell starke Zivilgesellschaft eine demokratieförderliche Rolle, indem sie sich für die Fairness und Transparenz des Wahlprozesses einsetzte. Zweitens gelang es der UPND, über ihre Stammwählerschaft hinaus neue Wählerschaften zu erschließen und sich als eine effektive Alternative zu positionieren. Drittens akzeptierte der Wahlverlierer Lungu das Wahlergebnis. Obwohl Defizite etwa bei der Gewaltenteilung oder der Unabhängigkeit der Justiz fortbestehen: Der friedliche Machtwechsel ist ein positives Signal für die Region. 

Auch der knappe Wahlsieg William Rutos in Kenia 2022 verdankte sich einer veränderten Mobilisierungsrhetorik. Ruto stellte sich als Outsider eines durch politische Dynastien und ethnische Loyalitäten geprägten Systems dar, führte einen an klassenbasierten Identitäten orientierten Wahlkampf und versprach zudem wirtschaftliche Reformen. Der Verlierer Raila Odinga versuchte zwar, das Ergebnis anzufechten, jedoch kam es nicht zu Ausschreitungen. 

Negative Tendenzen sind in Südafrika (-0,70 Punkte) und Mauritius (-0,60) zu verzeichnen. Südafrikas Regierungspartei African National Congress (ANC) ist von Patronagenetzwerken und Streitigkeiten zwischen Parteiflügeln durchzogen, die Präsident Cyril Ramaphosa nur unzureichend eindämmt. Landesweit sind viele politische Institutionen vor allem auf der lokalen Ebene unterfinanziert, schwach und korruptionsanfällig. Viele Südafrikaner:innen sind unzufrieden, sehen aber im gegenwärtigen Oppositionsspektrum keine Alternative. Damit nähert sich Südafrika mit einem politischen Transformationsstand von nur noch 7,00 Punkten der Grauzone anfälliger, defekter Demokratien wie Kenia, Lesotho, Malawi und Sambia an, auch wenn die rechtsstaatlichen Institutionen noch immer stark sind.

Ähnlich wie Südafrika galt Mauritius lange als gefestigte Demokratie. In der Berichtsperiode ist allerdings eine Machtausweitung der Regierungspartei zu beobachten – ablesbar an Zensur und Selbstzensur in den Medien sowie einer schwach ausgeprägten Kontrolle der Exekutive durch das Parlament. In Namibia ist die Opposition seit 2020 zwar zahlenmäßig stärker im Parlament vertreten, hat aber kaum Einfluss. 

Wenig Dynamik zeigt sich in den Autokratien. In Angola, Dschibuti und Uganda bestätigten die Wahlen wenig überraschend die jeweiligen Machthaber. Fortschritte sind in Tansania zu verzeichnen. Es bleibt abzuwarten, ob Präsidentin Samia Suluhu Hassan, die Nachfolgerin des verstorbenen John Magufuli, weitere Reformen einleiten wird.
 

In den gescheiterten Staaten Somalia und Südsudan fehlen praktisch alle Voraussetzungen dafür, konkret ein staatliches Gewaltmonopol sowie die Bereitstellung von grundlegender Infrastruktur wie Wasser, Strom oder Gesundheitsdienste. Ein großer Teil des somalischen Territoriums wird von al-Shabaab und anderen Milizen kontrolliert, die Regionen Somaliland und Puntland sind international nicht anerkannte Sezessionsstaaten. Konflikte zwischen der Zentralregierung und den Föderalstaaten erschwerten die Umsetzung von geplanten Reformen der Verwaltung und Steuererhebung. Ebenfalls nicht geglückt ist der Übergang von einem clanbasierten zu einem allgemeinen Wahlrecht. Im Südsudan gab es seit der Unabhängigkeit im Jahr 2010 keine Wahl, Präsident Salva Kiir regiert oft per Dekret. Politische Institutionen wie das Parlament sind nur Fassaden, die Bürger- und Menschenrechtslage bleibt katastrophal. 

Wirtschaftliche Transformation

Nach der Pandemie kommt die Inflation

Auch ökonomisch bleiben die Herausforderungen enorm. Zwar erholten sich die Volkswirtschaften fast aller Länder von den Folgen der Corona-Pandemie, am deutlichsten Botswana (+11,4% im BIP 2021) und Ruanda (+10,9%). Dafür sind viele Staaten von Inflationssorgen betroffen, getrieben vor allem durch hohe Lebensmittel- und Energiepreise. Besonders dramatisch ist die Lage in Simbabwe, wo die Inflation 2022 bei 104,7% lag – nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) der weltweit höchste Wert.

In Kenia, Sambia und Tansania haben sich die politischen Rahmenbedingungen der ökonomischen Transformation verbessert. In Kenia stellte die friedliche Wahl 2022 eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung der längerfristigen Ziele der neuen Regierung wie Schuldenreduzierung, Stärkung der Privatwirtschaft und Eindämmung der Folgen des Klimawandels dar. Sambia verbessert sich im Vergleich zum BTI 2022 in sechs Indikatoren, unter anderem bei der Förderung der Privatwirtschaft und im Bankensektor. Noch deutlicher fiel der privatwirtschaftliche Aufwärtstrend in Tansania aus, wo Präsidentin Suluhu einen stärker marktwirtschaftlich orientierten Kurs verfolgt. Tansania verbessert sich in allen Indikatoren im Bereich Markt- und Wettbewerbsordnung sowie Privatwirtschaft.

In Namibia hingegen wächst die rechtliche und regulatorische Unsicherheit im Bereich der privaten Investitionen – obwohl die im New Equitable Economic Empowerment Framework zunächst vorgesehene obligatorische Kapitalbeteiligungsklausel zugunsten ehemals benachteiligter Bevölkerungsgruppen gestrichen wurde. Andere Reformen, zum Beispiel im Bereich Steuern, werden langsam oder inkonsistent umgesetzt (-0,25).

Weiterhin enttäuschend verläuft die Entwicklung in Südafrika (-0,18). Schlecht gemanagte Staatskonzerne wie Eskom (Energie) und Transnet (Schienengüterverkehr) belasten den Haushalt, und trotz des Gesetzes zum Broad-Based Black Economic Empowerment (kurz B-BBEE) bleibt eine vergleichsweise hohe Ungleichheit bestehen. Zudem werden hohe bürokratische Hürden durch das B-BBEE und eine zu kleine Gruppe von Nutznießern beklagt. Die schwache Wirtschaftsleistung hat zu Ausgabenobergrenzen geführt, die aber wiederum dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen erschweren. Südafrika und Namibia, das im ungleichheitsgewichteten Human Development Index 2021/22 zehn Ränge verlor, bleiben auch die Länder mit einer besonders ungleichen Einkommensverteilung.

Ebenso stark ausgeprägt sind die Unterschiede zwischen den Ländern. Vielerorts lebt ein großer Teil der Bevölkerung nach wie vor von der Landwirtschaft und leidet damit unter den Preisschwankungen für Agrarprodukte. Der informelle Sektor ist weiterhin groß und macht nach aktuellen Schätzungen der International Labour Organization in Burundi, Madagaskar, Mosambik, Tansania und Uganda über 90% der Beschäftigungsverhältnisse aus. In Madagaskar, einem der ärmsten Länder der Welt, stieg die Armut im Berichtszeitraum von 77,4% im Jahr 2020 auf 81% 2022.

Vor den größten Herausforderungen stehen die Länder mit simultanen Krisen. Somalia ist seit mehr als 30 Jahren ohne funktionierenden Staatsapparat und bleibt von Einfuhren abhängig. In Eritrea zwingt die fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft den Großteil der erwachsenen Bevölkerung dazu, für ein Taschengeld im Nationaldienst zu arbeiten oder als Soldat zu kämpfen. Dies hat zu einer Verzerrung des Arbeitsmarktes geführt und fördert weiterhin die Massenabwanderung der Jungen und Gebildeten.

Governance

Abstieg einer normativen Macht

Vor dem Hintergrund der enormen strukturellen Herausforderungen zeigt sich bei den Indikatoren Priorisierung und Implementierung jeweils ein negativer Trend. Die Kluft zwischen ambitionierten Zielen und einer oft defizitären Umsetzung hat mehrere Ursachen: eine unterbezahlte, unmotivierte oder unprofessionelle Verwaltung, insbesondere auf den unteren Ebenen; eine Top-Down-Managementkultur der staatlichen Verwaltung mit einem hohen Grad an Zentralisierung der Entscheidungsfindung; unklare Zuständigkeiten für bestimmte Aufgaben; unzureichende Mittel für die Umsetzung; aber auch Korruption und Vetternwirtschaft.

Südafrika, ein klarer Verlierer im Governance-Index (-0,62), steht hierfür exemplarisch. Mit dem 2012 formulierten, bis 2030 reichenden National Development Plan wollte die Regierung zum Beispiel die Armut abschaffen. Im Berichtszeitraum stieg diese aber sogar. Ähnliches gilt für die Arbeitslosigkeit, die 2022 bei 29,8%. lag. Einer der Hauptgründe für die Implementierungsschwäche ist die Verquickung von Staat und dem regierenden ANC. Korruption und Missstände in der Verwaltung sind endemisch, die staatlichen Institutionen werden zum Schauplatz innerparteilicher Machtkämpfe. Auch außenpolitisch hat das einst als normative Macht anerkannte Südafrika an Reputation eingebüßt, zumal durch die Weigerung, für UN-Resolutionen zu stimmen, in denen die russische Invasion in der Ukraine verurteilt wurde. Dies trifft auch auf Namibia zu, das seine Beziehungen zu China und Russland weiter ausbaut.  

Zu den traditionellen Strukturproblemen der Region gesellen sich immer deutlicher die Auswirkungen des Klimawandels hinzu. Die meisten Regierungen setzen sich Klimaschutzziele, die allerdings oft anderen politischen Prioritäten insbesondere hinsichtlich des Wirtschaftswachstums untergeordnet werden. Eine positive Ausnahme ist Kenia, das mit einer Quote von über 90 % Stromerzeugung aus Geothermie, Solarenergie, Biogas und der Zuckerverarbeitung auf dem besten Weg ist, seine Selbstverpflichtung von 100 % sauberer Energie bis 2030 zu erreichen. In Tansania und Uganda wird hingegen durch den geplanten Bau einer Pipeline, die sich von den Ölfeldern in West-Uganda zum Hafen von Tanga erstrecken soll, wirtschaftlichen Erwägungen eine Priorität vor dem Umweltschutz eingeräumt. Auch Namibia vergab zwischen 2020 und 2022 Lizenzen zur Exploration von Öl- und Gasfeldern sowie zum Uranabbau. Letzteres führte zu einem Kompetenzkonflikt zwischen den zuständigen Ministerien und deutet auf eine schwache Umsetzung klimafreundlicher Politiken hin. 

Die Staaten am Horn von Afrika sind zudem von Gewaltkonflikten betroffen. In Somalia bestehen die größten Herausforderungen in der Bekämpfung des Aufstands von al-Shabaab, wiederkehrenden Umweltkatastrophen (vor allem Dürren) und humanitären Notsituationen. Im Südsudan gibt es zahlreiche interkommunale Auseinandersetzungen, die das Potential haben, zu größeren Konflikten zu eskalieren. In Äthiopien bildet die starke Politisierung von Ethnizität in einem System des „ethnischen Föderalismus“ den Hintergrund eines Bürgerkriegs, der im Jahr 2021 mehr als 5,1 Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieb.

Ausblick

Ein zentraler Faktor bei der Bewältigung der komplexen Probleme der Region bleibt die Legitimität der Regierungen. Die Beispiele Kenia und Sambia zeigen sehr gut, wie stark politische und ökonomische Transformation miteinander verknüpft sind. Und sie zeigen noch etwas: Es gibt eine hohe Nachfrage nach strategisch gut aufgestellter Opposition. Selbst in noch immer relativ gefestigten Demokratien besteht die Gefahr, dass die politische Beteilung und die Zustimmung zur Demokratie weiter sinken – nicht, weil Demokratie als Staatsform unerwünscht ist, sondern weil die Problemlösungskapazitäten in Frage gestellt werden. Deshalb ist nicht nur eine stärkere Zusammenarbeit oppositioneller Gruppen, sondern auch eine kohärentere Politikformulierung aller Parteien notwendig. 

Wirtschaftspolitisch müssen die Bedingungen für Unternehmen verbessert werden, insbesondere durch eine transparente Politik und die Entflechtung von Interessen und Akteuren. Inflation und steigende Staatsverschuldung erschweren Reformvorhaben allerdings. Vielen Ländern fehlen qualifizierte Arbeitskräfte, insofern wäre auch ein Ausbau des Bildungswesens erforderlich. Eine Priorität sollte auf der Diversifizierung der Wirtschaft liegen, zumal einige Vorhaben zum Ressourcenabbau im Konflikt zu Klimaschutzzielen stehen.

In den schwächsten Staaten der Region bleibt die Gewährleistung von Sicherheit vordinglich. Der Waffenstillstand in Äthiopien bildet eine Voraussetzung für eine Beilegung der Gewalt, wohingegen der Aufbau von Frieden und Sicherheit in Somalia und Südsudan sicher noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird.