Der Aufwärtstrend ist gebrochen: Auch in Eurasien weisen 2022 alle drei Indizes des BTI nach unten. Dabei hat sich die politische Teilung der Region verfestigt. Während sich die Demokratien trotz systemischer Defekte und des Problemdrucks einer Pandemie als relativ resilient erwiesen haben, reagierten die Autokraten mit zum Teil massiver Repression – allen voran in Belarus. Ökonomisch haben die rohstoffreichen Autokratien die besseren Aussichten für eine zügige Erholung.
In der politischen Transformation zeigt sich mit Blick auf die Demokratien ein zwiespältiges Bild: Während Moldau sich – dank der Ausschaltung des Oligarchen Vlad Plahotniuc – als einziges Land verbessert hat, verbuchen fünf Länder Verluste, besonders Kirgisistan. Die Autokratien – bis auf Belarus – verzeichnen dagegen nur marginale Veränderungen. Die Bindung an Führungsfiguren und damit verbundene personalistische Netzwerke bleibt ein prägendes Strukturmerkmal in Eurasien.
Auch in ökonomischer Hinsicht sind die Veränderungen in den Demokratien, insbesondere in der Mongolei, Georgien, Kirgisistan und Armenien, deutlicher und negativer als in den autokratischen Rentenökonomien. Hinzu kommen die Multiplikatoreffekte, die sich insbesondere bei jenen Volkswirtschaften bemerkbar machen, die von der Arbeitsmigration nach Russland (und Kasachstan) abhängen.
Die Heterogenität der Region schlägt sich nahtlos auch im Management der Corona-Pandemie nieder. In Eurasien findet sich alles: von vollständiger Ignoranz in Turkmenistan über Verschleierungstaktiken bis hin zum effizienten Pandemie-Management der Mongolei, der auch deshalb als einzigem Land der Region eine gute Governance attestiert werden kann. Am deutlichsten hat sich die Governance in Belarus verschlechtert, und Lukaschenkos Handeln hat westliche Sanktionen ausgelöst.
Zusammengefasst haben die vergangenen Jahre die politischen Gegensätze Eurasiens schärfer konturiert, wobei sich die Demokratien als relativ resilient erwiesen haben, während Machterhalt in den autokratischen Regimen zunehmend mit repressiven Mitteln erfolgte. Ökonomisch sind vorerst aber die Autokratien im Vorteil, zumindest jene, die über Energie- und Rohstoffressourcen verfügen.
Hans-Joachim Spanger
Regionalkoordinator Postsowjetisches Eurasien